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Pflanzenfamilie: Vitaceae (Weinrebengewächse)
© N. Kowarsch. Fruchtende Wildrebe auf der Rhein-Insel Ketsch (Oktober 2015)
Situation in Deutschland
Der Fortbestand der Europäischen Wildrebe (Vitis vinifera subsp. sylvestris (C.C. GMEL.) HEGI) ist in Deutschland extrem gefährdet. Gemäß einer vom WWF-Auen-Institut durchgeführten Untersuchung existierten 2011 nur noch 200 echte Europäische Wildreben (95 natürlich verjüngte echte Wildreben und 105 gepflanzte echte Wildreben). Bei weiteren gefundenen "Wildreben" handelt es sich um interspezifische oder intraspezifische Hybriden, die dringend entfernt werden müssen, um eine weitere Generosion der mitteleuropäischen Wildrebe zu vermeiden (Ledesma-Krist et al. 2013).
Durch den Wiederaufbau überlebensfähiger, ausreichend heterozygoter Populationen an ausgewählten Standorten in primären Habitaten und durch reproduktive Vernetzung der Standorte soll die Fortsetzung evolutiver Anpassungsprozesse für Vitis vinifera subsp. sylvestris wieder ermöglicht werden (Ledesma-Krist et al. 2013). Eine umfassende Ex-situ-Bestandssicherung flankiert hierbei die In-situ-Schutzmaßnahmen.
Ex-situ-Lebendsammlungen
Aktuell sind 80 Genotypen (74 Genotypen der Wildrebenpopulation auf der Insel Ketsch, 2 Genotypen der Mannheimer Reißinsel, 2 Genotypen aus der Hördter Rheinaue, 1 Genotyp Römerberg und 1 Genotyp Colmar (Elsass)) ex situ im Botanischen Garten des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT)/ Versuchsanstalt des Joseph Gottlieb Kölreuter Instituts für Pflanzenwissenschaften, im Botanischen Garten der Philipps-Universität Marburg und im Institut für Rebenzüchtung des Julius-Kühn-Instituts in Siebeldingen gesichert (vgl. Anhang in Kowarsch et al. 2019).
Für Wiederansiedlungen bzw. bestandsstützende Maßnahmen können der Botanische Garten der Philipps-Universität Marburg und das Joseph Gottlieb Kölreuter Institut für Pflanzenwissenschaften des KIT Pflanzen zur Verfügung stellen. Es handelt sich um verifizierte (genotypisierte) echte Wilde Weinreben.
Bei einer in Deutschland so seltenen Art wie der Wilden Weinrebe wird die Bedeutung von Lebendsammlungen in Botanischen Gärten deutlich: Ein auf der Insel Ketsch 1961 gesammeltes Wildreben-Individuum, welches ausschließlich im Botanischen Garten Frankfurt überdauerte, erwies sich nach genetischer Überprüfung als Unikat. Die Wildrebe DE-0-FRT-2009/387 wurde vegetativ vermehrt und ist mittlerweile Teil der Ex-situ-Sammlungen in Karlsruhe und Marburg und steht für In-situ-Erhaltungsmaßnahmen zur Verfügung. Damit konnte die für Wiederansiedlungen bzw. Bestandsstützungen zur Verfügung stehende "rheinische Wildrebenpopulation" um mehr als 1% erweitert werden.
In-situ-Maßnahmen: Wiederansiedlung und Bestandsstützung
Auf dem Kühkopf hat die Botanische Vereinigung für Naturschutz in Hessen (BVNH) in Zusammenarbeit mit HessenForst 2013 begonnen, die im hessischen Oberrheingebiet in den 1940er Jahren erloschenen Wildrebenbestände im heutigen Naturschutzgebiet "Kühkopf-Knoblochsaue" wieder zu etablieren. 2013 wurden hierzu 121 im Botanischen Garten des KIT angezogene Wildreben auf dem Kühkopf wieder angesiedelt (Angersbach et al. 2018). An den Wiederansiedlungsstandorten war der Wühldruck durch Wildschweine unerwartet hoch. 2015 lebten auf dem Kühkopf noch 63% der 2013/2014 ausgepflanzten Wilden Weinreben; die meisten der ausgefallenen Pflanzen waren durch Wildschweine geschädigt worden. 2016 wurden auf dem Kühkopf weitere 551 im Botanischen Garten Marburg angezogene Wilde Weinreben in Kooperation mit HessenForst ausgepflanzt (Kowarsch et al. 2019). Aufgrund der starken Trockenheit in den Jahren 2018 bis 2020 und einer sehr starken Wildschwein-Wühltätigkeit, waren die Wildreben-Verluste in den Folgejahren enorm. Auf dem Kühkopf lebten 2023 noch 28 Wilde Weinreben (Niederl 2024). Daher wurde auf dem Kühkopf im Jahr 2023 eine weitere Auspflanzungsmaßnahme in Zusammenarbeit mit dem Botanischen Garten Marburg und HessenForst durchgeführt.
Im Altrhein-Bereich des Kühkopfes (Übergang Hartholzaue-Weichholzaue) wurden im Oktober 2023 an 47 Standorten 157 Wildreben (je Standort ein Genotyp) gepflanzt. Die Pflanzung wurde gärtnerisch flankiert. Die Vegetation wurde an den Pflanzstandorten entfernt, der Boden aufgelockert, mit Schafwollpellets gedüngt und die gepflanzten Wilden Weinreben eingefriedet (Eichenpfähle mit wildschweinsicherem Zaun). Im Sommer 2024 konnten hier noch 92 Wilde Weinreben gefunden werden (Überlebensrate von 52%).
Weitere Wiederansiedlungen fanden am Lingenfelder Altrhein (10 Reben) sowie im Naturschutzgebiet "Schwarzwald" (46 Reben) statt. Bestandsstützende Maßnahmen wurden im Naturschutzgebiet Hördter Rheinaue am Leimersheimer Altrhein (39 Reben) sowie im Naturschutzgebiet "Flotzgrün" (22 Reben) durchgeführt.
Grundsätzlich ist vor einer Wildreben-Bestandsstützung zu klären, ob alle vorhandenen vermeintlichen Wildreben auch echte Wildreben sind. Ansonsten ist wegen der Gefahr genetischer Introgression eine Bestandsstützung in Frage zu stellen. Bei Wiederansiedlungen ist zu prüfen, ob und wie verhindert werden kann, dass sich Kulturreben oder Amerikanische Wildreben aus der näheren Umgebung einkreuzen können.