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Eine Erhaltungskultur ist eine Population einer Pflanzenart oder
-unterart aus einer dokumentierten heimischen Wildherkunft, die in
einem Garten kultiviert wird. Eine Population besteht dabei aus
mindestens einem lebenden Individuum, in der Regel aber mehreren
Pflanzen. Das Ziel der Erhaltungskultur ist, ihr lokales, regionales
oder globales Aussterben zu verhindern.
Laut dieser Definition stellen alle einheimischen Pflanzen in gärtnerischer Kultur eine Erhaltungskultur dar, wenn
Die Kultur muss zunächst das Überleben und Gedeihen der Pflanzen sicherstellen. Sie muss aber auch die Identität der Population in Kultur gewährleisten. Bei langlebigen Pflanzen sowie bei vegetativer (ungeschlechtlicher) Vermehrung ist dies einfach und beinhaltet lediglich die dauerhafte Etikettierung der Pflanzen und die gesicherte Dokumentation der Herkunft.
Die Kultur muss zunächst das Überleben und Gedeihen der Pflanzen sicherstellen. Sie muss aber auch die Identität der Population in Kultur gewährleisten. Bei langlebigen Pflanzen sowie bei vegetativer (ungeschlechtlicher) Vermehrung ist dies einfach und beinhaltet lediglich die dauerhafte Etikettierung der Pflanzen und die gesicherte Dokumentation der Herkunft.
Bei generativer (geschlechtlicher) Vermehrung ist zusätzlich auf die genetische Identität der Population in Kultur zu achten, was in erster Linie bedeutet, die Kreuzung mit unerwünschten Partnern zu vermeiden. Unerwünschte Partner sind unter anderem Gartenformen der gleichen Art, Wildformen verwandter Arten und getrennt zu haltende Wildherkünfte der gleichen Art (beispielsweise eine zweite Erhaltungskultur, die aus einem anderen Lebensraum stammt). Das Kreuzungsrisiko kann von Art zu Art sehr unterschiedlich sein. So sind beispielsweise Nelken (Dianthus) und Küchenschellen (Pulsatilla) für ihre leichte Kreuzbarkeit über Artgrenzen hinweg bekannt.
In zweiter Linie ist bei der generativen Vermehrung auch die unbeabsichtigte genetische Veränderung über mehrere Generationen zu vermeiden. Zu einer gärtnerisch optimierten Beet- oder Topfkultur würde zum Beispiel eine kontinuierlich günstige Wasser- und Nährstoffversorgung gehören. Unter solchen Bedingungen bringen diejenigen Pflanzen aus einer Population am meisten Nachkommen hervor, die ein solches Optimum besonders gut ausnutzen können. In der Natur gibt es hingegen häufig weniger optimale Zustände und Stresszeiten wie etwa Dürren. Unter solchen Umständen produzieren jene Pflanzen der Population die meisten Nachkommen, die daran besonders gut angepasst sind, und das sind häufig andere als die im Garten besonders erfolgreichen. Über einige Generationen im Garten kann das abweichende, "unnatürliche" ökologische Standortprofil eine deutliche Veränderung der Anpassungen innerhalb der Population zur Folge haben. Soweit diese Anpassungen genetisch fixiert sind, vererben sich die Veränderungen weiter. Die Nachkommen sind dann weniger lebenstüchtig, wenn sie zurück in die Natur gebracht werden.
Arbeiten, die nach solchen Veränderungen an Pflanzen in Kultur suchen, finden sich in der wissenschaftlichen Literatur bisher nur wenige (z.B. Enßlin et al. 2010, Rucinska & Puchalski 2011), am ehesten noch an Gehölzen und Zierpflanzen (siehe Quellen in Lauterbach et al. 2012a). Bei Tieren gibt es deutlich mehr Studien zu diesem Thema (Übersichten z.B. bei Frankham 2008, Williams & Hoffman 2009). Lauterbach et al. (2012a) zeigen am Beispiel von drei Kulturen von Silene otites in Botanischen Gärten, dass die allgemeinen genetischen Unterschiede zwischen Garten- und wilder Herkunftspopulation bei Kultur in einer naturnahen Anlage geringer sind als bei Beetkultur (Lauterbach et al. 2012a, Abb. 4, S. 70). Ein von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt, das im Frühjahr 2012 im BG Potsdam begann, adressiert genau diese Fragen der schnellen evolutiven Veränderung ursprünglich wilder Pflanzenpopulationen unter Gartenbedingungen. Um später solche unbeabsichtigten genetischen Veränderungen während der Erhaltungskultur nachvollziehen zu können, sollten regelmäßig Pflanzenexemplare im Gartenherbarium dokumentiert und durch silicagelgetrocknetes Material für genetische Analysen ergänzt werden.
Die Zahl der Generationen im Garten sollte möglichst gering gehalten werden und Material für die Wiederauswilderung möglichst direkt aus Wildsaatgut oder direkter Nachzucht von Wildsaatgut erzeugt werden (Maunder et al. 2004). Generell ist es im Garten vermutlich besser, die Erhaltungskulturen in naturnahen Anlagen zu halten als in Beeten oder Töpfen, wenn die Kultur über mehrere Generationen geht (Lauterbach et al. 2012a).
Eine derzeit offene Frage ist, ob die genetische Reinhaltung auch sehr kleiner Rest-Wildpopulationen Sinn macht. In sehr kleinen Populationen können nämlich natürliche genetische Verarmungsprozesse ungünstige Folgen für das Überleben mit sich bringen. Dem könnte man mit dem Einkreuzen anderer (zum Beispiel räumlich nah benachbarter) Herkünfte der gleichen Art entgegenwirken. Die so erhöhte genetische Vielfalt wird von mehreren Fachleuten für Wiederauswilderungen als sinnvoll angesehen (z.B. M. Fischer, Uni Bern, M. Koch, Uni Heidelberg, Husband & Campbell 2004). Andererseits könnten damit wiederum genetisch fixierte lokale Anpassungen zerstört werden. Eine experimentelle Studie zu dieser Frage wurde in den Niederlanden durchgeführt (Vergeer et al. 2004, 2005).
Wegen der potenziell großen Bedeutung der Unterschiede zwischen vegetativer und generativer Vermehrung hat die AG Erhaltungskulturen ein Konzept von drei unterschiedlichen Leveln der Erhaltungskultur erstellt. Sie unterscheiden sich in ihren Zielen, Kriterien und praktischen Anforderungen im Garten.
Ziele
Kriterien
Praktische Anforderungen
Ziele
Wie Level 1, zusätzlich
Kriterien
Wie Level 1, zusätzlich
Praktische Anforderungen
Wie Level 1, zusätzlich
Ziele
Wie Level 2, zusätzlich
Kriterien
Wie Level 2, zusätzlich
Praktische Anforderungen
Wie Level 2, zusätzlich
Alle Erhaltungskulturen in den Gärten der AG sind einem dieser Level zugeordnet. Da Level 3 mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden ist, gibt es nicht viele Beispiele dafür. Alle kurzlebigen Arten sind automatisch Level 2 zugeordnet, da sie nur über Samen weiterkultiviert werden können.
Alle Mitglieder der AG geben in der Regel Material aus ihren Erhaltungskulturen ab bzw. ernten gezielt Samen/Sporen oder ziehen Jungpflanzen heran, wenn dies für Naturschutzzwecke erforderlich oder wünschenswert ist. Das gilt vor allem für die Weitergabe an IPEN-Mitglieder (International Plant Exchange Network) ebenso, wie an andere nichtkommerzielle Institutionen und Personen. Über die Kontaktliste unserer Mitglieder können Sie den direkten Kontakt zu einem Partner aufnehmen oder sich über Michael Burkart, den Sprecher der AG, vermitteln lassen. Kommerziellen Rekultivierern wird ebenfalls geraten, direkt mit der haltenden Institution Kontakt aufzunehmen, um entsprechende Nutzungsbedingungen zu klären. Verschiedene Botanischen Gärten und ähnlichen Institutionen arbeiten bereits erfolgreich mit gewerblichen Nutzern zusammen, unter anderem das Stadtgärtnerei Straubing und die Botanischen Gärten Regensburg, Potsdam, Erlangen, Bayreuth und Karlsruhe.
Es gibt in Deutschland deutlich mehr gefährdete Pflanzenarten, als sich zurzeit in Erhaltungskultur befinden. Daher stellt sich die Frage der Priorisierung: Mit welchen Arten soll begonnen werden, welche sind am wichtigsten?
Zur Bewertung werden zwei unterschiedliche Kriterien herangezogen: 1. Gefährdung und 2. Verantwortung. Für beide benötigt man einen geografisch klar begrenzten Raum, hier das Territorium der Bundesrepublik Deutschland.
Die Gefährdung aller Pflanzenarten wird in einer Roten Liste eingeschätzt. Die letzte bundesweite Rote Liste wurde 1996 veröffentlicht (Korneck et al. 1996) und umfasst sechs Kategorien: Bereits ausgestorbene oder verschollene - also lange nicht mehr gefundene - Arten haben den Status "0" (47 Arten). Unmittelbar vom Aussterben bedrohte Arten haben den Status "1"(118 Arten). Die übrigen Kategorien sind "2" (stark gefährdet, 273 Arten), "3" (gefährdet, 381 Arten), "G" (Gefährdung anzunehmen, 32 Arten) und "R" (extrem selten, 92 Arten).
Als Kriterien für die Einstufung dienen hauptsächlich die gegenwärtige Situation der Bestände und ihrer Lebensräume, die Bestandsentwicklung in der Vergangenheit und die Prognose ihrer zukünftigen Entwicklung sowie das Bestehen von Risikofaktoren, die aus der Biologie der Art resultieren. In der Kategorie "ungefährdet" bleiben damit 2.376 Arten. Viele dieser Arten sind aber auf der Ebene einzelner Bundesländer oder Landschaftsräume gefährdet, für die es eigene Rote Listen gibt. Solche Listen existieren für alle Bundesländer und einige Landschaftsräume.
Die Verantwortung zur Erhaltung ist von der Gefährdung weitgehend unabhängig. Sie wird im Wesentlichen durch die Gesamtverbreitung einer Art bedingt. Wenn ein sehr großer Anteil des weltweiten Vorkommens einer Art in Deutschland liegt, hat Deutschland eine sehr große Verantwortung für ihre weltweite Erhaltung. Für Arten, die überwiegend andernorts wachsen, besteht folglich eine generell kleinere Verantwortung. Allerdings spielen auch Besonderheiten des Arealbildes eine Rolle. So bringt die Lage des Arealzentrums einer Art in Deutschland auch eine Erhöhung der Verantwortung mit sich, während der Arealrand als weniger bedeutsam für die globale Erhaltung einer Art angesehen wird. Weitere Einzelheiten dieser komplexen Bewertungsproblematik sind den Originalarbeiten von Welk (2002) und Ludwig et al. (2007) zu entnehmen. In Welk (2002) wird eine Bewertung der Erhaltungsverantwortung für 1.225 Arten höherer Pflanzen Deutschlands vorgenommen, in Ludwig et al. (2007) für nahezu die gesamte Flora. Die Ergebnisse stimmen aber bei den Arten, die in beiden Werken bearbeitet wurden, durch die unterschiedlichen Herangehensweisen und Bewertungssysteme nicht immer überein.
Ferner gibt es zwei unveröffentlichte Listen der Endemiten Deutschlands (Ristow-Liste, Hobohm-Liste; Arten und Unterarten, die nur in Deutschland vorkommen). Da diese Arten und Unterarten in jedem Fall der höchsten Verantwortungskategorie angehören, sollten sie auf ihre Gefährdung geprüft und bei Bedarf und Möglichkeit ebenfalls in Erhaltungskultur genommen werden. Die AG Erhaltungskulturen wird aus allen vier genannten Quellen eine Gesamtliste der Arten und Unterarten mit einer besonders hohen Erhaltungsverantwortung zusammenstellen und mit ihrem Gefährdungsstatus ergänzen. Diese Liste wird dann an dieser Stelle veröffentlicht und die Grundlage für die nächsten dringenden Tätigkeiten darstellen. Über die Hälfte der Arten, die hochgefährdet oder sehr selten sind (Rote-Liste-Status 1, 2 und R) und für die Welk (2002), Ludwig et al. (2007) oder beide eine große oder sehr große Erhaltungsverantwortung Deutschlands herausgearbeitet haben, befindet sich bereits in einem oder mehreren Gärten in Erhaltungskultur.